Zweimal Sauna, bitte

Shortstory von Guido Sawatzki

Ein hochgewachsener Typ – ziemlicher Bauch … also einer, der eher nicht fürs Coverbild taugte. Kopf wie Bauch, Gesicht also ebenfalls ziemlich aufgedunsen. Fettige, stark gekräuselte Haare. Wie gesagt, kein Favorit fürs Schönheitsmagazin … . Dennoch. Sein Auftreten – irgendwie provokant. Der Blick aus seinen stahlblauen Augen sehr direkt. Schätzte ihn auf Ende 30. Unterm Strich also ein nicht gänzlich unattraktiver Mann … für einen bestimmten Frauentyp.

Dem Pärchen jedoch, welches er aus seiner Ecke heraus unablässig beobachtete, schien seine Glotzerei eher lästig. Sie zumindest, so Ende 20, zupfte ständig an ihrem Handtuch herum, das sie lose um ihren Körper geschlungen hatte. Darunter nackte Haut … warum auch nicht. Schließlich war man ja in der Sauna. Im Moment allerdings saßen sie an einem Bistrotischchen der kleinen, gemütlichen Sauna-Cafeteria. Die langbeinige Blondine, die die Gäste bediente, war allerdings bekleidet – sicherlich sehr zum Leidwesen der männlichen Gäste und vor allem unseres Gaffers; so lüstern, wie der sie anstierte.

Wahrscheinlich bemerkte er gar nicht, wie sehr sein Verhalten das Pärchen mittlerweile amüsierte. Die Köpfe zusammengesteckt, tuschelten und lachten sie leise hinter vorgehaltenen Händen. Er fing an, ihre Finger zärtlich zu liebkosen. Eine Hand ruhte mittlerweile, wie selbstverständlich, auf ihrem recht nachlässig bedeckten Oberschenkel, den ein Zipfel ihres dünnen Badetuchs gerade so bedeckte. Langsam glitt seine Hand unter das Tuch.

Nichts davon entging unserem Beobachter. Man sah es seinem Gesicht an, wie gewaltig es in ihm arbeitete. Seine Kiefer schoben sich hin und her; ich meinte gar, sie knacken zu hören. Mal presste er den Mund zusammen, mal fuhr er sich mit der Zunge über die ausgetrockneten Lippen. Aufrecht, die Knie zusammengepresst, damit keiner mitbekam, wie sehr ihn das alles erregte, saß er da … total angespannt … verkrampft. Sie beugte sich ihrem Freund entgegen, ihre vollen, weichen Lippen liebkosten die seinen … . Von seiner Position aus konnte der Spanner genau verfolgen, wie ihre Zunge langsam, unendlich langsam an den Innenrändern seines halb geöffneten Mundes entlangstrich, was den Reiz dieses Liebesaktes – und ein solcher war es unzweifelhaft – noch erhöhte. Sie hob den Kopf etwas an, sah zu dem Mann hinüber, dem schier die Augen herausquollen, um dann umso intensiver in ihrem Liebesspiel fortzufahren.

Wie um IHN zu provozieren, bewegte ihr Freund, im Gegensatz zu dem Spanner eher ein leptosomer Typ von feingliedrigem Körperbau, jetzt seine Hand unter dem dünnen Stoff. Was er dort mit ihr anstellte, ließ sich leicht erahnen. Es schien ihr zu gefallen. Sie keuchte, ihr Mund öffnete und schloss sich jedenfalls in immer kürzeren Abständen. Ihr Körper wand sich, ganz offenkundig hatte sie Mühe, ihre kleinen, lustvollen Schreie zu unterdrücken. Sie schien sich seinem Drängen immer bereitwilliger hinzugeben. Auch konnte man besonders bei der jungen Frau den Eindruck gewinnen, als sei ihr egal, was sonst um sie herum geschah oder ob irgendwelche Bade- oder Saunagäste ihr Treiben bemerkten.

Die beiden schienen tatsächlich alles um sich herum vergessen zu haben; es gab für sie nur noch diesen einen, unendlich lustvollen Moment – den sie gemeinsam auskosten wollten. Als sich seine Hand immer heftiger bewegte und sie offenbar kurz vor dem Höhepunkt stand, schnappte sie wie wild und geradezu in Ekstase nach seinem Mund … es war die reine Gier.

„Autsch!“. Er hatte sich von ihr gelöst – man sollte besser sagen, sich von ihr losgerissen -, seine Unterlippe schien leicht zu bluten. Erschrocken schaute er sich um, wirkte, als sei er eben erst gewahr worden, dass er sich mit seiner Begleiterin nicht in einem kuscheligen Bett, sondern in einem öffentlichen Raum befand. Er rückte sogar etwas von ihr ab – fast kam es mir vor, als genierte er sich. Vielleicht fiel ihm auch auf, dass einige andere Gäste erst jetzt ihr Gespräch wieder aufnahmen.

Sie hatte da offenbar weniger Skrupel. Jedenfalls rutschte sie mitsamt ihrem Stuhl erneut ganz nahe zu ihm heran. Den Mund weit geöffnet, schwer atmend – jetzt war sie irgendwie doch leicht erschöpft -, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter. Langsam schwenkte ihr Blick hin zu dem Beobachter; ganz so, als ob sie erkunden wollte, wie diese offenkundige Provokation auf ihn gewirkt hatte. Denn als solche war das, was die beiden da gerade veranstaltet hatten, doch wohl aufzufassen – oder?

Ihre beiden Blicke verhakten sich ineinander. Ihren Begleiter schien sie vergessen zu haben. Der war sich offenkundig unsicher, wie er mit der merkwürdigen Situation umgehen sollte. „Komm, wir gehen, Lisa“, forderte er die junge Frau auf und wollte sie unterhaken. Sie jedoch schüttelte seine Hand unwillig ab – fast so, als ob sie einem Fremden gehörte -; starrte vielmehr weiterhin unverwandt zu dem Mann hinüber.

„Kennst du den etwa?“. Die Verunsicherung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Plötzlich klingelte ihr Handy. Sie zuckte zusammen – fast wie unter einem Stromschlag. Irgendetwas in ihrem Verhalten sagte ihm, dass dieser Anruf für sie nicht unerwartet kam. Er blickte zu dem Mann hinüber. Auch der hielt seltsamerweise ein Handy in der Hand, legte es aber in diesem Moment beiseite.

Ihr Handy klingelte und klingelte. Sie nahm es aus der Tasche, zögerte, schaute kurz darauf, legte es dann aber auf den Tisch. „Willst du nicht rangehen?“, fragte er erstaunt. „Nein, Alf. Habe jetzt keine Lust dazu. Außerdem kann der- oder diejenige es ja später noch einmal versuchen – wenn es denn so wichtig ist.

„Verschweigst du mir etwas? Du weißt, dass meine Familie in dieser Gegend nicht gerade unbekannt ist und stockkonservativ dazu. Irgendwelches Getratsche kann ich mir also nicht leisten. Du magst mich vielleicht für hysterisch halten, aber manchmal habe ich sogar das Gefühl, dass mein Vater mich beobachten lässt.“

„Ich weiß, Herr von und zu“, meinte sie da nur spöttisch und lachte ihn an. Sie stand auf, das Saunatuch glitt zu Boden. Doch noch bevor sie völlig nackt dastand, packte sie es an einem Zipfel und warf sich vor ihm wie eine Flamenco-Tänzerin provokant in Pose. „Na? Suchen wir uns eine Umkleidekabine? Willst du?“ Ihre Haltung und ihr frivoler Ton waren ziemlich eindeutig – kein Mann könnte da widerstehen. Ihm hingegen blieb vor Verblüffung oder Schreck – das ließ sich im Moment nicht so genau sagen – der Mund offenstehen; zumal sie keineswegs im Flüsterton gesprochen hatte.

„Ich geh‘ schon mal vor. Die Nummer sieben reicht locker für zwei … kommst du?“, forderte sie ihn auf, bevor sie loslief. Er wunderte sich, wieso sie sich so gut auskannte; hatte angenommen, dass sie, genauso wie er, zum ersten Mal hier wäre. Doch er verkniff sich eine Bemerkung, denn schließlich kannten sie sich noch nicht lange. Trotz seiner Verwirrung fiel ihm ihr anscheinend achtlos beiseitegelegtes Handy auf, das noch auf dem Tisch lag. Als er sie daran erinnern wollte, war sie aber schon aus seinem Blickfeld verschwunden. Ohne darüber nachzudenken, steckte er es spontan in die Tasche seines Bademantels.

Kurz vor den sanitären Anlagen holte er sie doch noch ein. „Lisa, ich muss nochmal wohin … du weißt schon!“, rief er hinter ihr her. „Okay, treffen wir uns bei den Duschen. Ich warte dort auf dich“, gab sie völlig unbekümmert und fröhlich zurück. So zumindest hatte es den Anschein.

Alf wollte weitergehen, wurde aber abrupt gestoppt. Vor ihm stand dieser komische Typ von vorhin und versperrte ihm den Zugang. „Zuerst treffen aber wir uns …“, raunte der ihm zu, bevor er den Weg freigab. Tatsächlich wartete er im Durchgang, bis Alf wieder auftauchte. „Was wollen Sie von mir … hat Sie etwa mein Vater geschickt?“ „Ihr Vater?“ Er lachte hinterhältig. „Der interessiert mich einen Dreck! Mir geht es nur um das Mädchen … dieses durchtriebene Luder. Hat sie Ihnen das Foto gezeigt, das ich ihr vorhin geschickt habe?“ Als Alf den Kopf schüttelte, zog der andere sein Handy hervor. Das, was darauf zu sehen war, versetzte Alf in Schockstarre. „Nein … unmöglich … kann nicht sein!“, stammelte er entsetzt.

„Das hätten Sie nicht gedacht, was? Die Fotos wurden übrigens in einem Swingertreff gemacht … ein hübsches Plätzchen; kann ich Ihnen nur empfehlen.“. Alfs Gegenüber hatte dabei ein hämisches Grinsen im Gesicht.

„Alf, reiß dich zusammen … jetzt nur nicht die Beherrschung verlieren“, zwang er sich zur Mäßigung; doch am liebsten hätte er jetzt vor Wut auf diesen Typen da eingeprügelt. Aber nachdem der andere ihm offensichtlich körperlich weit überlegen war, ballte er lediglich die Fäuste … knirschte mit den Zähnen. „Ein süßes kleines Video habe ich da übrigens auch noch. Wollen Sie es sehen? Das bekommen Sie zur Feier des Tages gratis … für die Fotos selbst erwarte ich aber ein hübsches Sümmchen. Ist doch klar – oder? Wie hoch freilich mein Salär ist, hängt ganz von Ihnen ab … und von Ihrer Freundin.“

Das reichte! Alf hatte genug – er hob die Fäuste. „Stopp, stopp, junger Mann. Ist es das wirklich wert? Würde es Ihnen wirklich nichts ausmachen, dass unsere kleine Rauferei womöglich noch in der Zeitung erscheint?! Denken Sie mal an den Skandal, den sowas auslöst … und an Ihre wertvolle Familie!“ Er grinste Alf dabei boshaft an. „Außerdem – so eine Gelegenheit hat unsereins schließlich auch nicht alle Tage. … Und versuchen Sie erst gar nicht, mich reinzulegen. Überhaupt hat Ihr Clan doch Kohle genug … stimmt’s?“

In diesem Moment läutete sein Handy. „Oh, sieh mal einer an … Ihre Freundin meldet sich bei mir. Mal sehen, was Ihr Schätzchen schreibt. Lesen Sie ruhig mit: ‚Du kannst alles mit mir machen, was du willst – aber sag ihm nichts. Treffen wir uns nachher im Wäldchen? An derselben Stelle wie immer?‘“

Alf stand da wie betäubt. Seine Welt schien zusammenzubrechen. Fast zeitgleich hörte er am Klingelton seines Handys, dass er ebenfalls eine WhatsApp-Nachricht erhalten hatte: „Tut mir schrecklich leid, aber mir ist plötzlich so schlecht geworden, dass ich gehen musste. Ich melde mich. Lisa.“ Direkt danach eine zweite Nachricht: „Ich liebe dich.“

Alf schloss die Augen. Alles um ihn herum drehte sich; das Handy rutschte ihm aus der Hand.

„Und? Was hat sie geschrieben?“ Geistesgegenwärtig hatte sein Gegenüber Alfs Handy aufgefangen und gleichzeitig einen Blick darauf geworfen. „Ich für meinen Teil hatte nichts anderes erwartet. … Tut mir leid, Kumpel. Aber ich muss jetzt los – du weißt ja, ich werde dringend erwartet. Wir sehen uns.“

Nachdem er verschwunden war, lehnte sich Alf an die Wand der Duschkabine. Er war fix und fertig … wünschte, weit, weit weg zu sein … oder aber bei ihr … bei Lisa. Wollte doch bei ihr bleiben … sie beschützen. Irgendetwas kam ihm plötzlich seltsam vor. Da war doch was – ja, genau … ihr Handy! Wie hatte sie denn diese Nachrichten schicken können – ohne Handy? Er tastete in seinem Bademantel danach. Ja, tatsächlich – da war es ja noch. … Aber wie …? Wahrscheinlich besaß sie ein zweites Handy. Alf lachte bitter auf. Kein Wunder, bei so vielen Kontakten! Er schaute nochmal auf sein Display. Stimmt – das war ja überhaupt nicht die Nummer, die er kannte!

Aus einem inneren Impuls heraus, ohne dass er es wirklich wollte, scrollte er auf ihrem Handy die Liste ihrer WhatsApp-Nachrichten durch. Er wollte jetzt wissen, wer da eventuell noch eine Rolle in ihrem Leben, ihrem Dasein spielte … er musste! Wie könnte er ihr denn jemals wieder vertrauen, ihr in die Augen schauen, ihr glauben, dass sie ihn wirklich liebte – anscheinend so sehr liebte, dass sie bereit war, sich einem anderen Mann hinzugeben, nur damit er, Alf, nichts davon erfuhr, was ihn möglicherweise abschrecken könnte. Andererseits konnte sie doch aber nicht so naiv sein … sie musste doch wissen, auf welch brüchigem Eis sie sich bewegte; konnte doch nicht der Illusion nachhängen, nichts würde herauskommen und sie könne sich ihm, Alf, bedingungslos und ungestört zuwenden!?

Alf stockte. Hier, gleich an zweiter Stelle … dieser Name … diese Nummer! „Herr von und zu“ stand wie eine Fata morgana vor seinen Augen. „Herr von und zu“ flüsterte Alf ungläubig. Ihm stockte der Atem. Hatte sie ihn nicht gerade vorhin noch so genannt? Ein ums andere Mal flüsterte er es vor sich hin. Aber die Nummer … das war doch gar nicht seine! Er tippte die Nachricht an. Sie ploppte auf: „Ich werde immer für dich da sein, liebste Lisa. Wenn dir jemand lästig ist, werde ich ihn dir vom Halse schaffen. So oder so. Ich dulde keinen Nebenbuhler. Ruf mich an, wenn du mich brauchst.“ Die Nachricht war noch relativ aktuell. Aber die Nummer … diese Nummer – bei Gott, wie gut er diese Nummer kannte! Alf spürte, wie seine Beine nachgaben. Er ließ sich an der Wand hinabgleiten. Ein tiefes Stöhnen entrang sich seiner Brust. Er ballte beide Hände so fest zu Fäusten, dass sich seine Fingernägel tief ins Fleisch bohrten. Doch … er brauchte jetzt diesen Schmerz … sonst würden ihm wohl die Sinne schwinden.

Ein entsetzlicher Gedanke kam ihm. Was war, wenn sie in ihrer Not – also jetzt – diesen Menschen anrief, der ihr doch seine Hilfe in allen Lebenslagen angeboten hatte … vielleicht damit er sie endlich von dem Mann befreien könnte, mit dem sie gerade ein Treffen arrangiert hatte? Alf plagte insgeheim der Gedanke, dass er diesem Chaos der Gefühle mit Lisa einfach nicht gewachsen und überhaupt die unwichtigste Person war und nur einem Traum nachhing, der sich niemals erfüllen würde; für andere dagegen vielleicht sogar ein Hemmschuh war – und dass er womöglich selber in Gefahr geriet, wenn er nicht aufpasste. Und was würde passieren, wenn Lisas Plan aus dem Ruder lief – wenn, im Gegenteil …!

Alf stöhnte laut auf. Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Sein Magen drohte zu rebellieren. Gleichzeitig drängte es ihn mit aller Macht, etwas zu tun. Ja, es wurde ihm zunehmend klarer, dass er jetzt handeln musste. … nicht zulassen, was sich da an Schrecklichem anbahnte … dass einer der beiden dabei womöglich draufging. Vor allem könnte er sich niemals verzeihen, wenn der eine … . Aber dann wieder die Vorstellung, dass sie beide – also er und der andere – … dieselbe Frau! Alfs Gedanken wirbelten durcheinander. Mühsam zwang er sich zum Nachdenken. … Lisa hatte doch etwas von einem Wäldchen geschrieben – so viele Möglichkeiten gab es hier in der Gegend gar nicht. Soweit er wusste, war der einzige geschützte Platz mit der Möglichkeit, ein Fahrzeug einigermaßen unbemerkt abzustellen, gerade mal zehn Autominuten von hier entfernt.

Alf rappelte sich auf, stürzte zu den Kleiderschränken … verdammt, welche Nummer hatte seiner nochmal? Ein Bademeister kam vorbei. „Können Sie mir bitte helfen? Bitte, es pressiert! Ich habe die Nummer meiner Kleiderbox vergessen … ich kann Ihnen aber ganz genau beschreiben, was drin ist.“

„Immer mit der Ruhe, junger Mann. Sehen Sie mal dorthin, zu dem Anzeigegerät, da, an der Wand. In ihrem Schlüssel befindet sich ein Chip. Halten Sie also den Schlüssel an das Display und es wird Ihnen die Nummer anzeigen … . Ist alles in Ordnung? Sie sehen ja richtig bleich aus. Soll ich es für Sie tun?“ Alf konnte nur noch nicken. Kalter Schweiß stand ihm auf der Stirn … ihm rannte die Zeit davon. Das, was sich da draußen an Entsetzlichem anbahnte – es musste verhindert werden!

Der Bademeister kam zurück, reichte ihm den Schlüssel. „806 … hören Sie? Acht-null-sechs! Soll ich den Sani holen oder sind Sie soweit wieder in Ordnung?“ Die kräftige Stimme vor ihm ließ Alf aufschrecken. „Danke … ja, danke. Es geht schon wieder … . Danke.“

Der alte Bademeister mit seinen ausgetretenen Badelatschen schlurfte wieder davon, drehte sich aber nach wenigen Schritten noch einmal um. Alf winkte ihm nach … „nochmals danke!“, rief er ihm zu. Alf war froh, in Ruhe gelassen zu werden. 806 … der achte Juni – sein Geburtsdatum. Bei Gott, wie verrückt war dies alles! Was für ein Albtraum!

In weniger als einer Minute hatte er sich angezogen. Erst als er draußen die frische Luft einatmete, bemerkte er, dass er seinen Bademantel vergessen hatte. Aber immerhin hatte er Lisas Handy mitgenommen. Mann, wie vertraut fühlte es sich an … er glaubte sogar, die Wärme ihrer kleinen Hand daran noch zu spüren. Ein schönes Gefühl, dachte er bei sich. Während der Fahrt, bei geöffnetem Fenster, schaffte er es, wieder einigermaßen Ordnung in seine Gedanken zu bringen.

Doch je näher er seinem Ziel kam, desto mehr breitete sich Panik in ihm aus; die Angst vor dem, was ihn erwartete, steigerte sich ins Unermessliche. Er bog von der Hauptstraße zu dem Wäldchen ab. Dort – tatsächlich. Drei Autos! Das eine musste die Karre von dem Spanner sein, das andere, ein Cabrio, war wohl das von Lisa. Er hatte es zwar nur einmal flüchtig gesehen, aber die Buchstaben- und Zahlenkombination legte die Vermutung nahe. … Dann das dritte, ja, das kannte er. Allerdings. Es war ein Pullmann. Und dessen Besitzer, den kannte er auch – kannte ihn mehr als gut! Unglaublich. Alf atmete tief durch. Doch ihm war klar, er musste den Tatsachen ins Auge sehen – um Lisas willen. Er musste sie beschützen – und gegebenenfalls um sie kämpfen … so schwer ihm das auch fallen mochte.

Ein Schuss. Jemand schrie. Kein Zweifel: Der Absender der Handy-Nachricht hielt Wort … keine Nebenbuhler. Alf rannte in die Richtung, aus welcher der Schuss gekommen war. Dichter Wald, wohin er auch sah. Verzweiflung übermannte ihn. „Lisa … Lisa! Lisa!“. Ein zweiter Schuss. Alf sah Holz von dem Stamm neben sich splittern. Der Schütze musste ihn aber doch auf jeden Fall gesehen haben … so nahe, wie dieser schon war.

„Alf, Alf! Liebster, ich komme!“ – Gott sei Dank, Lisa war nichts geschehen. Sein Herz brannte. Das Schlimmste war nicht eingetroffen; alles Weitere konnte er vielleicht noch verhindern.

*

Ein ungeheuer brennender Schmerz breitete sich plötzlich rasend schnell in seiner Brust aus. … Erst dann nahm er ihn wahr – den dritten Schuss. Alf sank zu Boden.

Wie durch eine Nebelwolke sah er den Schützen auf sich zukommen. Fast gemächlich, auf jeden Fall aber zu allem entschlossen kam dieser immer näher, die doppelläufige Flinte unterm Arm, die Alf selber als kleiner Knirps bei besonderen Gelegenheiten ab und zu hatte halten dürfen.

Ein Fehlschuss – was auch sonst … . Oder aber doch nur ein Nebenbuhler weniger?

Alf spürte den Schatten des Mannes auf sich liegen. Abwehrend streckte er die Arme weit von sich. „Vater!“ stammelte er noch. Doch das hörte niemand mehr.

Nur noch in seinem brechenden Blick fand sich die Vorstellung von Lisa … wie sie ihn schluchzend in ihre Arme nahm.