Gedanken zum Tag (10.02.2024)

Geht’s noch???

Hatte doch die deutsche Ampelregierung vorgesehen, den Begriff „Rasse“ aus der Verfassung zu streichen – mit Rücksicht auf moralische Befindlichkeiten und mit Blick auf fragwürdige und beschämende Abschnitte in Deutschlands Geschichte –, da meldet sich flugs der Präsident des Zentralrats der Juden Josef Schuster zu Wort. Dieser fordert, den Rassebegriff aufrechtzuerhalten. Seine Begründung: Damit könne die Erinnerung an den Holocaust besser aufrechterhalten werden … und schon knickt die Ampelkoalition ein und ist bereit, ihre Entscheidung zu kippen.

Es fällt mir fast ein bisschen schwer, angesichts dieser Wankelmütigkeit der deutschen Bundesregierung sachlich zu bleiben. Rückgrat sieht anders aus.

Und wer mich jetzt als Antisemit beschimpfen will, dem halte ich nur die Worte des bedeutenden deutsch-französischen Intellektuellen jüdischer Herkunft Alfred Grosser, der am 7. Februar dieses Jahres starb, entgegen: Er war überzeugt, dass die Politik Israels den Antisemitismus fördert. Er sah Deutschland im israelischen Würgegriff und gehörte zu jenen, die der deutschen Bundesregierung vorwarfen, sich von Israel erpressen zu lassen. Sachliche Kritik an Israel, so klagte Grosser, sei in Deutschland tabuisiert.

Darin war er sich unter anderem mit dem deutsch-französischen Lyriker und politischen Aktivisten Stéphane Hessel einig. Hessel, ein großer Denker mit ebenfalls jüdischen Wurzeln, verfasste noch mit 93 Jahren, drei Jahre vor seinem Tod, seine Streitschrift „Empört Euch“. Man müsse sich zeitlebens die Fähigkeit zur Empörung und damit zum Engagement erhalten, schreibt Hessel darin. Eine Geisteshaltung à la „Ohne mich“ sei das Schlimmste, was man sich und der Welt antun könne. Untätigkeit war für Hessel ein Gräuel.

Die deutsche Bundesregierung jedoch scheint tatsächlich die Hände in den Schoß zu legen – mehr noch: Es drängt sich der Eindruck auf, dass die deutsche Regierung die allgegenwärtige Diskussion um Antisemitismus als Gottesgeschenk sieht, lenkt es doch die Deutschen von drängenden Problemen wie deutscher Wirtschaft, Finanzen, Umwelt et cetera ab. Gaben frühere römische Kaiser dem Volk „Brot und Spiele“, um es bei Laune zu halten, so „schenkt“ die deutsche Regierung dem Volk heute eher Feindbilder und treibt damit nur weitere Keile in unsere Gesellschaft.

Anstatt mit ihrer Pro-Israel-Politik die deutsche Gesellschaft zu spalten, sollte sie vielmehr alles dafür tun, um beispielsweise den Begriff des Antisemitismus mittel- wie langfristig wieder auf eine rationale Diskussionsebene zu stellen. Dafür allerdings bräuchte es Veränderungen an der Basis. Selbst der Präsident des Zentralrats der Juden erhob bereits 2019 die Forderung, dass Juden beispielsweise in der Schule nicht auf den Begriff des Holocaust reduziert werden sollten. Schließlich würden Juden seit 1700 Jahren in Deutschland leben und zur deutschen Kultur gehören.

Wie ich in meinen Blog-Beiträgen über den palästinensisch-israelischen Konflikt immer wieder hervorhob: Nur weil man gegen die aktuelle Politik des Staates Israel ist, ist man damit nicht zugleich Antisemit! Mit ihrem derzeitigen, vielfach naiven Verhalten polarisiert die Ampelkoalition jedoch und befeuert damit noch Phänomene wie den Antisemitismus. Damit aber leistet sie dieser Demokratie einen Bärendienst.

Dass Israel übrigens nicht zum ersten Mal im Gaza-Streifen mit extremer Gewalt vorgeht, beschreibt Hessel anhand der israelischen Operation „Gegossenes Blei“ (2008). Der südafrikanische Richter Richard Goldstone klagt in seinem damaligen Bericht Israel an, Akte begangen zu haben, die mit Kriegsverbrechen und eventuell sogar mit Verbrechen gegen die Menschlichkeit vergleichbar sind. Doch scheint es mittlerweile Tradition, dass deutsche Bundesregierungen sich bei derlei Kritik taub stellen – immer unter Berufung auf die besondere deutsche Verantwortung gegenüber dem Staat Israel.

Der brutale Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 hat eine Kettenreaktion ausgelöst, die sicher nicht so schnell zu stoppen ist, vielmehr internationale Kreise zieht und weder vor Kultur noch vor Sport Halt macht – so zu beobachten beim EM-Qualifikationsspiel der Basketballerinnen in Riga vor wenigen Tagen. Weil ihnen eine israelische Basketballerin antisemitische Gesinnung vorgeworfen hat, haben irische Spielerinnen vor dem EM-Qualifikationsspiel beider Länder in Riga den üblichen Handshake vor der Partie verweigert. Der irische Verband unterstützte seine Spielerinnen.

So etwas nennt man Rückgrat zeigen, liebe deutsche Bundesregierung!