Gedanken zum Tag (28.02.2024)

„Antisemitischer Angriff in München: Jude an der Synagoge beleidigt und geschlagen.“ So berichtete die SZ am 27.02.24 online.

Tathergang: Zwei 17-jährige Jugendliche schrien sich vor einer Synagoge an. Ein 43-jähriger Passant versuchte, ihren Streit zu schlichten. Daraufhin beschimpften ihn die Jugendlichen mit einem antisemitischen Schimpfwort und schlugen ihn mit einer Krücke. Laut Zeitungsbericht war das Opfer tatsächlich Jude. Das jedoch sei in der Situation nicht zu erkennen gewesen, schreibt die Zeitung.

Was also rechtfertigt die Überschrift „Antisemitischer Angriff“? Wenn ich diesem Zeitungsbericht glauben will, dann hat sich der Angriff der beiden polizeibekannten Jugendlichen nicht gegen den Mann als Jude gerichtet – denn nichts wies offensichtlich darauf hin.

Deshalb nochmal gefragt: Warum dann diese Überschrift?!

Der Versuch einer Erklärung: Alles, was mit dem Beiwort jüdisch, israelisch usw. versehen ist, zieht in Deutschland fast automatisch die Aufmerksamkeit auf sich … zuallererst bei jenen, oftmals volatilen Staatsbürgern, die sich von den Anti-Rechts-Demonstrationen vereinnahmen lassen – endlich (!) hat man wieder ein Ziel – und dann, fast zwangsläufig, bei Teilen der Presse. Denn Masse wirkt immer – damit lässt sich Schlagzeile machen.

Seit dem Kniefall Willy Brandts 1970 am Ehrenmal für die Helden des Warschauer Ghettos versuchen sich deutsche Spitzenpolitiker geradezu marktschreierisch in dieser unterwürfigen Geste zu übertrumpfen. Ist es zu provozierend, wenn ich es auf den folgenden Punkt bringe: Was für die Nazis der Russe als vermeintlicher „Untermensch“ war, ist den Deutschen von heute der Jude als Übermensch?

Wann, frage ich mich, kehren wir wieder zu normalen Zeiten zurück, in denen der Mensch an sich nicht spontan und willkürlich etikettiert wird, nicht abgestempelt wird als Jude oder Moslem, der in den Augen Anderer nichts gilt, möglicherweise sogar menschenunwürdig ist, nur weil er nicht so ist wie ICH? Wäre die Lösung die Hinwendung zu einem Humanismus (?) … mit einer dem aufgeklärten Menschen adäquaten Gesprächskultur?

Es gibt verbrecherisches Handeln bei allen Völkern und in allen Glaubensgruppierungen – auch bei den Juden. Liebe Politiker: Es gibt nicht den jüdischen Übermenschen. Sprengen wir endlich diese „Mea culpa“ (… durch meine Schuld …)-Falle. Lassen wir es nicht zu, dass der Staat Israel uns ein Verhalten aufzwingt, welches sowohl Menschen als auch eines deutschen Staates unwürdig ist.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt forderte einen Werte geleiteten Pragmatismus. Schmidt war nach Ansicht von Philosophen ein Meister im Balancieren zwischen den beiden Polen – der politischen Verantwortung und der sittlichen Verpflichtung. Politiker unserer Tage mit ihrem Gerede von ewiger Schuld gegenüber dem Staat Israel stellen ausschließlich das, was sie unter sittlicher Verpflichtung verstehen, in den Mittelpunkt ihres Handelns. Dadurch zwingen sie jedoch ihr Volk in ein Korsett und in jene geistige Abhängigkeit, welche das Entstehen eigener Identität seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs bislang erfolgreich unterdrückt.

Eine derart einseitige Vorgehensweise wirkt auf Dauer polarisierend. In Zeiten ökonomischer Prosperität ist eine solche Unausgewogenheit nicht weiter tragisch … man hat schließlich genügend Ablenkung und geht – frei nach dem Monarchen Friedrich II -, jeder nach seiner Fasson, seinen Vergnügungen nach. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten wie der jetzigen jedoch kann eine derartige Politik wie ein Brandbeschleuniger wirken. Dies gilt ganz besonders für die heutige Zeit, in der die so genannten Rechten das Thema „Juden“ und Migration für sich (wieder)entdeckt haben und Teilen des Volkes Gelegenheit geben, wieder mit dem Finger auf Menschen zeigen zu können, die durch unglückliche, globale Umstände zu Opfern geworden sind.

Ein Volk, das in sich stark ist, ist auch fähig, Auswüchse, wie wir sie derzeit in Ausfällen gegen Migranten und Juden in Deutschland und Europa erleben, in einen sozialen Kontext zu stellen und so mittel- und langfristig wieder einen Konsens herzustellen.

Aus Identität erwächst Stärke – eine Stärke, die jedoch vielen verantwortlichen Politikern in Deutschland unheimlich ist. Eine Führungsrolle, wie sie manche unserer Nachbarstaaten von uns verlangen, meiden sie wie der Teufel das Weihwasser. Vielmehr lassen sie es in beinah schon masochistischer Weise zu, dass andere Völker mit dem Finger auf uns zeigen … du bist Deutscher, du bist böse – mit dir wollen wir nichts zu tun haben. Das kann – doch dies nur nebenbei – auch immense volkswirtschaftliche Schäden nach sich ziehen. 

Für weitaus verheerender jedoch halte ich es, wenn unsere Politiker Minderwertigkeit bei ihrem eigenen Volk zulassen und einem solchen Gefühl, dank ihrer Vorbildfunktion, auch noch Vorschub leisten. Dies jedoch führt langfristig zu einer gefährlichen geistigen wie sozialen Spaltung, deren Auswüchse mehr und mehr unseren Alltag bestimmen werden.