„Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“
Macht dieser Satz von Friedrich Nietzsche für uns Deutsche und unsere Gegenwart heute noch einen Sinn?
Freude am Leben kann nur derjenige haben, der sich nicht tagein, tagaus nach Feierabend in seine vier Wänden verkriecht und sich vor der Glotze nette Filmchen reinzieht; vor allem solche, die mit unserem eigenen Alltag rein gar nichts mehr zu tun haben und uns nur in Traumwelten entführen, die uns unsere eigene Gegenwart vergessen lassen.
Freude am Leben haben kann auch heißen, sich mit dem Nachbarn auseinanderzusetzen – allerdings weniger darüber, um wieviel Zentimeter sein Strauch oder Baum mittlerweile über die Grundstücksgrenze ragt, sondern darüber, was ihn wirklich bewegt; also Teilnahme zeigen auch an seinem Leben.
Die ganz Ängstlichen unter uns seien beruhigt: Der Satz von Nietzsche fordert uns nicht dazu auf, Anarchie in unsere brav-bürgerliche Gesellschaft zu tragen, sondern vielmehr über unseren eigenen Schatten zu springen; andere, neue Gedanken zuzulassen und sie nicht von vornherein abzulehnen – selbst dann, wenn sie uns wie von einem anderen „Stern“ vorkommen.
Dass da jedoch eine untergründige Sehnsucht (nach Chaos) vorhanden ist, erkennen wir an uns selbst, wenn wir unsere Gefühle zeigen, sie sogar laut herausschreien; beispielsweise in einem Rockkonzert mitgrölen oder mit den Füßen trampeln und so unseren angestauten Alltagsfrust im wahrsten Sinn des Wortes abladen – und damit buchstäblich unsere eigene kleine Welt auf den Kopf stellen. Dort fühlen wir uns wie auf einer Insel und die Künstler dort oben auf der Bühne stehen stellvertretend für uns und unsere geheimen Wünsche.
Tanz und Kunst als Ventil … als Therapie; oder einfach nur als Möglichkeit, das Menschsein in uns (wieder) zuzulassen. Oftmals dauert er nur kurz, dieser „Rausch“; bis der Kontrolleur uns in der S-Bahn zwingt, unsere Personalien anzugeben, nur weil wir mal vergessen haben, ein Ticket zu lösen oder ein Polizist mir die rote Kelle zeigt, weil ich vielleicht etwas zu schnell mit dem Auto unterwegs war. Menschlich, nur allzu menschlich? Das gilt in solchen Situationen dann nicht mehr.
Dennoch – das „Prinzip Menschsein“ gegen das „Prinzip Ordnung“ stellen – auch das muss erlaubt sein … ganz in Nietzsches Sinn.