GOLFBÄLLE GEGEN MENSCHENLEBEN
Medial äußerst wirkungsvoll beklagen die Politiker landauf-landab die Erbarmungslosigkeit der Hamas, die seit ein paar Tagen Videos halb verhungerter Geiseln zur Abschreckung und als Warnung öffentlich verbreiten. Zweifellos ist es grausam, Menschen derart leiden zu lassen – sie letztendlich für das langjährige Versagen der israelischen wie auch der internationalen Politik büßen zu lassen. Doch gibt es auch hier zwei Seiten einer Medaille.
Die Hamas wird als Terror- und Verbrecherorganisation bezeichnet, ihre Mitglieder als Kriminelle gebrandmarkt. Doch müssen solcherlei Anschuldigungen, die derzeit so vielen so leicht über die Lippen gehen, differenziert gesehen werden. Man erinnere sich da nur an die Vorgänge vor der Gründung des Staates Israel – da stand Palästina noch unter britischer Verwaltung –, und manche der späteren israelischen Politiker wurden ebenfalls als Terroristen gesucht.
Etwa 58.000 Tote, 80 Prozent des Gazastreifens von den Israelis in Schutt und Asche gelegt – jeweils mit Unterstützung der USA; so lautet die vorläufige Bilanz der Bemühungen von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu um „Befriedung“ des Gazastreifens. Mit zerstört wurden Kulturstätten der Palästinenser – alles mit dem Ziel, ihnen ihre Identität zu rauben.
Jetzt möchte Benjamin Netanjahu noch einen Schritt weiter gehen und die Gunst der Stunde nutzen und den gesamten Gazastreifen besetzen. Eine bessere Steilvorlage als die Fernsehbilder mit den abgemagerten Geiseln hätte die Hamas ihm nicht liefern können. Wie naiv müssen die Strategen der Hamas sein, dass sie zum einen nicht erkennen, wie solche Bilder auf die Weltmeinung wirken – und das ausgerechnet vor einer Sitzung des Weltsicherheitsrates zum Thema – und zum andern, dass derartige Aktionen die Israelis zu noch mehr Härte herausfordern. Ein Frieden jedenfalls, wie ihn vehement (mit Worten), aber völlig wirkungslos deutsche Politiker fordern, ist jetzt in weite Ferne gerückt.
Angesichts solcher Bilder vergisst man gleich die Untaten, die Netanjahus Soldateska jeden Tag des Krieges vollführt. Ausgemergelte israelische Geiseln hier und vor Hunger schreiende palästinensische Babys und Kleinkinder, die nur noch Haut und Knochen sind dort – wegen der vom Netanjahu-Regime blockierten Hilfslieferungen.
Kann das Leid der einen mit dem Leid der anderen aufgewogen werden? Nein! Doch durch die Schreckensbilder der israelischen Geiseln in den Händen der Hamas ist Netanjahu psychologisch jetzt im Vorteil. Die (launischen) Tränen der Welt werden nicht mehr wegen der, zu zigtausenden umgekommenen Palästinensern vergossen, vielmehr sind durch die erschreckenden Fernsehbilder ihre Sympathien auf die andere Seite gewandert.
Netanjahu als gewiefter Politiker wird diesen strategischen Vorteil umgehend für sich nutzen und sich den Gazastreifen komplett einverleiben – mit noch mehr Toten und noch mehr Zerstörungen.
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Trump lässt die Golfbälle fliegen.
Und HURRA! Donald Trump wird damit seinem Traum von einem, von lästigen Palästinensern entvölkerten Gazastreifen ein entscheidendes Stück nähergekommen sein. Ich sehe schon die Golfbälle fliegen. Die Kinder aus den mit Stars & Stripes-Flaggen geschmückten Konzentrationslagern – pardon: Sammellagern -, in denen die Palästinenser dann von den Israelis untergebracht sein werden, werden sich an den verschlagenen Golfbällchen der Milliardäre sicher erfreuen.
Wie menschenverachtend und barbarisch die USA sein können, zeigten sie wirkungsvoll beispielsweise im Zweiten Weltkrieg bei der Bombardierung Dresdens. Dorthin hatten sich Zigtausende von Flüchtlingen gerettet, um dann schließlich im Hagel der Phosphorbomben bei lebendigem Leib zu verbrennen. Ebenso im Vietnamkrieg, als die Amerikaner ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung Agent Orange zur Entlaubung der Wälder einsetzten. Bis zum heutigen Tag zeugen Missbildungen bei Tausenden der dort lebenden Menschen von diesem unmenschlichen Handeln. Auch denke ich in diesem Zusammenhang an, von der sogenannten zivilisierten Welt geduldete Foltergefängnisse wie Guantanamo, wo Menschen weiterhin ohne Anklage wie Vieh festgehalten werden.
Wie schon mehrfach von dem demokratisch gewählten US-Präsidenten Donald Trump zu hören war, stellt er Andersdenkende – speziell Demonstranten – auf eine Stufe mit „Vieh“, welches entsprechend zu behandeln sei.
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Zuerst kommt die verbale Erniedrigung, dann erfolgt die physische Vernichtung.
Erinnern wir (Deutsche) uns: Lange bevor in Deutschland und anderswo in Europa Juden physisch vernichtet wurden, hat man sie ihrer Persönlichkeit, ihrer Würde und schließlich auch ihrer Kultur beraubt und sie als Ungeziefer, welches es zu zertreten gelte, verunglimpft.
Nicht viel anders ist die Sichtweise von Donald Trump im Falle von Gaza und die dort lebenden Menschen. Für die von ihm erhofften „Deals“ nimmt er Tod und Vertreibung Tausender Palästinenser mit einem Schulterzucken hin.
So sehr ich es dem palästinensischen Volk auch wünschen würde, dass die diplomatischen Bemühungen unserer deutschen Möchte-gern-Friedensaktivisten und -politiker zum Erfolg führen würden, habe ich doch, und mit mir Millionen andere, ihr Scheitern alle Tage in den Fernsehbildern vor Augen. Die sogenannte Luftbrücke und das Abwerfen von Lebensmitteln über dem Gazastreifen klingen lächerlich in den Ohren der Weltöffentlichkeit … sind ein Tropfen auf den heißen Stein. Derlei Aktionismus offenbart lediglich die deutsche Unfähigkeit, klug, weitsichtig und vor allem effektiv zu handeln.
Zurück zur Hamas: Fakt ist, dass die Hamas und ihre Verbündeten bislang die einzige, auch von den Palästinensern akzeptierte Ordnungsmacht in Gaza darstellt. Sie waren bis dato um eine funktionierende Infrastruktur inklusive Krankenversorgung bemüht – ergo jahrzehntelang der einzige Stabilitätsfaktor für den Gazastreifen. Ein Großteil dessen hat Israel im Einklang mit seinem Verbündeten USA mittlerweile quasi dem Erdboden gleichgemacht und wird es auch weiterhin tun – und niemand wird ihnen in den Arm fallen! Völkermord und Vertreibung sind dort an der Tagesordnung – und die Welt, wir alle, schauen zu!
Die UNO hat auch in diesem Konflikt unter dem Einfluss der tonangebenden Großmächte USA, China und Russland auf der ganzen Linie versagt – wieder einmal.
Wo die Mächtigen die Welt unter sich aufteilen, liegt es an uns, den Bürgern, hinter die Blendvorhänge von Politik und Medien zu schauen, wo jeder sein eigenes „Süppchen“ kocht. In der Konsequenz müssen wir das Einzige tun, was die Menschlichkeit von uns fordert: Sensibel für das Geschehen in Gaza bleiben, immer wieder den Finger in die Wunde legen, aufzeigen, wie es den Menschen dort ergeht – ohne aber das Schicksal der Geiseln in den Händen der Hamas zu vergessen.